Eröffnungsrede von Marcus Kettel zur Vernissage

Vernissage der Ausstellung „TRANSFORMATIONSPROZESSE: Aspekte des Fortschritts im Spiegel der Kunst“ am 2. April 2011


Guten Abend meine Damen und Herren,
liebe Kunstfreunde, liebe Künstler!

Transformierte Rede von Marcus Kettel auf der Vernissage

Schön, dass Sie trotz des tollen Wetters so zahlreich zur Vernissage der Ausstellung „Transformationsprozesse: Aspekte des Fortschritts im Spiegel der Kunst“ gekommen sind.

Sie sehen mich heute in eine ungewöhnliche Umgebung transformiert: in eine Blase von Frank Fierke, auf die ich später noch genauer eingehen werde.

Zuerst möchte ich mich bei Herrn Dr. Hoffmann vom Förderkreis Bildender Künstler für die freundlichen Begrüßungsworte bedanken, sowie bei den Sponsoren „ppm“ und dem „Württembergischen Kunstverein“ für deren Material-Unterstützung.

Vielen Dank auch an alle beteiligten Künstler, sowie an meinen Assistenten René Sander und an Hartmut Haker.

Da momentan eine rasante Zunahme von Wandlungsprozessen in Natur, Politik und Gesellschaft zu beobachten ist, erschien es mir an der Zeit, verstärkt nach künstlerischen Positionen zu suchen, die dies in ihren Arbeiten auch im Hinblick auf den aktuellen Fortschrittsbegriff reflektieren.

Nach vielen Künstlergesprächen, intensiver Recherche zum Thema und etlichen Atelierbesuchen, kristallisierten sich neun vorwiegend konzeptionelle künstlerische Positionen heraus, welche die Ambivalenz des Fortschrittsbegriffs poetisch und kritisch veranschaulichen.

Mit ihren Reflexionen und Transformationen, bewegen sich die ausgestellten Exponate innerhalb des Spektrums des technischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschrittbegriffs. Aber auch auf persönlicher Ebene und in Alltagssituationen können Sie in dieser Ausstellungen interessante Aspekte entdecken.

(Im Motiv der Einladungskarte wird durch das „Ljapunov-Diagramm“ des russischen Mathematikers der Umbruch von geordneten Weiterent-wicklungen zu „chaotischen Zuständen“ dargestellt.)

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Nimmt man den Titel „Transformationsprozesse“ als Wortspiel auseinander, ergibt sich aus der Formfindung der Künstler im Ausstellungsraum ein Spannungsfeld, das den Betrachter mit einbezieht und aktivieren soll, um auch im gesellschaftlichen Bereich weitere Prozesse anzuregen.

Dabei soll der KUNSTBEZIRK auch als eine Art Generator fungieren, der diesen Spielraum ermöglicht.

Der Diskurs über den aktuellen Fortschrittsbegriff wird während der gesamten Ausstellungszeit mittels Kunstvermittlung sowie innerhalb eines workshops weiter intensiviert.

Jeder Besucher erhält von Beginn der Ausstellung an wieder die Möglichkeit, aktiv am Thema teilzunehmen, indem er seinen persönlichen Beitrag durch die Beantwortung der Frage „Was ist für Sie Fortschritt?“ beisteuern kann. Hierzu gibt es wieder eine „Zettel-Box“ neben dem Eingang in die Sie während der Ausstellungszeit und auch gleich heute die beantwortete Frage einwerfen können.



Nun zu den neun teilnehmenden Künstlern mit ihren Beiträgen:



Die freie, international bekannte katalanische Performance- und Theatergruppe La Fura dels Baus, die vor über 30 Jahren mit spektakulären interaktiven Aktionen und Vorstellungen bekannt wurde, verhandelt in ihren Theaterstücken die Themen Zivilisationsentwicklung, Zukunftsvisionen und Fortschrittsgläubigkeit.

Ausser der Kollaboration mit Frank Fierke und Zenit&Nadir im „Plastik-bubble“, sehen Sie hier im mittleren Teil deren Compilation aus 25-jähriger Theatergeschichte in einer Buch- und Videoinstallation.

Im Rahmenprogramm, das Sie ab nächster Woche auf dem Weblog dieser Ausstellung finden, wird der gesellschaftliche Aspekt des Fortschritts anhand des Filmes „Fausto 5.0“ gezeigt. Der genaue Termin wird noch bekannt gegeben.

La Fura diagnostiziert Zivilisationstransformationen im großen Welttheater.

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Ea Bertrams künstlerisches Schaffen, das Sie im vordernen Bereich sehen ist als „work in progress“ angelegt und zeigt Phantasiewesen aus Stoff, die sie mit digital bearbeiteten Computertomographie-Aufnahmen ihres Gehirns (den sogenannten „x-rays“) kombiniert und in Leuchtkästen ornamental und mosaikartig arrangiert. Zusätzlich projiziert Sie Filmsequenzen innerer Entwicklungen auf die Stoffwesen.

Bei Ea Bertrams Diagnose könnten Metastasen des Fortschritts zu Tage treten.

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Auf die pneumatisch betriebene Blase von Frank Fierke sehen Sie eine Projektion von La Fura dels Baus „Metamorphosis-Inszenierung“. Frank Fierke schafft organische Raumtransformationen, die sich im fließenden Übergang zur Umgebung durch Luftzufuhr immer wieder verändern.

Dabei thematisiert er die Inanspruchnahme, Veränderung, Transparenz und Begrenzung von Räumen.

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Min-seob Ji ist Student an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart und thematisiert in seiner Arbeit skurrile Situationen des Alltags und die Bedingungen des künstlerischen Schaffensprozesses allgemein.

Für die Ausstellung hat er den „Burj Dubai“ als das momentan höchste Hochhaus und aktuellste Fortschrittsymbol im architektonischen Bereich als Wachsmodell nachgebaut und lässt es im Laufe der Ausstellungszeit nach und nach schmelzen.

Seine Diagnose führt zu einem Umkehrprozess innerhalb des Fortschrittdogmas „schneller, weiter, höher“.

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Tae-kyun Kim zeigt in seiner Installation „G 10“ in der „black box“ nebenan Startbahn-Modelle der zehn weltweit größten Flughäfen nebeneinander und lässt sie mittels Leuchtdioden untereinander kommunizieren.

Mit der Aufhebung von Grenzen und Distanzen thematisiert er die Mobilitäts- und Geschwindigkeitszunahme als prägnantes Fortschrittsmerkmal unserer heutigen Zeit und führt in seiner Diagnose das Erreichen der Turbo-Geschwindigkeit Ad Absurdum.

In seiner Arbeit „Sign I“ im Eingangsbereich gilt es, die in eine natürliche Berglandschaft eingebettete Nachricht „we lost...“ zu enträtseln.
Die Botschaft kann aber nur durch eine Überwachungskamera von oben mittels moderner Medien eindeutig erkannt werden.
Dabei diagnostiziert er den Verlust unseres direkten Naturbezuges durch die moderne Zivilisationsentwicklung.

Als dritte Arbeit sehen Sie in der Mitte des Ausstellungsraumes ein bekanntes städtisches Tagesthema über dem Boden in Wolkenform schweben.
Dabei stellt sich die Frage ob die Wolke über dem Boden bleibt oder sich auflöst.

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Alfons Koller transformiert im gegenüberliegenden hinteren Bereich auf seinem Vorhang die Definition von Kunst in die digitale Welt in gelb schwarzer Farbe, was auch weitere höchst aktuelle Assoziationen auslösen könnte.

Im vorderen Bereich ist auf der rechten Seite ein gespiegeltes Motiv eines Familienausfluges zu sehen, der sich in einer Metamorphose nach und nach abstrahiert und auflöst.

In seiner Arbeit „virtual reality“ lässt er den Datenträger selbst zum Bildträger werden, indem er erotische Szenen aus dem Internet (als Zeichen der meist besuchten Seiten) mit Micro-Prozessoren reliefartig gestaltet und dazu LED beleuchtete Glasinstallationen arrangiert und diagnostiziert die Medienwelt als Chip-Peep-Show.

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Anahita Razmi verwendet in ihrer Arbeit hauptsächlich die Medien Fotografie und Video.

Ihre Doppel-Projektion „Coincidental Table Dance“, die Sie in der vorderen Koje auf dieser Seite sehen, besteht aus zwei übereinander gelagerten Videos, in denen jeweils ein dunkler Tisch steht. Durch zwei Handlungen am selben Objekt entstehen unendlich viele zufällige Begegnungen.

Der fortlaufende Zyklus der zufälligen Kombinationsmöglichkeiten des Zusammentreffens wird veranschaulicht.

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Jangyoug-Jungs Arbeit, die Sie in dieser Koje hier neben mir sehen, hinterfragt die moderne Mobilität.
Er hat eine Modell-Eisenbahn installiert und lässt einen Zug im Kreis fahren, dessen Geschwindigkeit eigentlich durch einen Transformator gesteuert wird. Als aktuellstes Kommunikationssymbol transportiert sie ein iPhone dessen Kamera die Fahrt durch die Modellandschaft filmt und auf den Laptop im Eingangsbereich live überträgt.
Dabei wird deren fortschrittliche Weiterentwicklung durch die „ewige Wiederkehr des Gleichen“ in einer Endlosschleife in Frage gestellt. Der bekannte französische Geschwindigkeitstheoretiker und Medienphilosoph Paul Virilio würde hier den rasenden Stillstand diagnostizieren.

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Das Künstlerduo Zenit & Nadir setzt sich aus dem Sound- und Videokünstler Aleksandar Nesic und der Tänzerin Alexandra Mahnke zusammen.

Mit ihren Arbeiten kritisieren sie die modernen gesellschaftlichen Entwicklungen und hinterfragen die örtlichen Gegebenheiten.
Sie beschäftigen sich mit Fiktionen und Trugbildern der modernen Medien.

In der Mitte der Ausstellung sehen Sie das von beiden Seiten begehbare Kabinett in dem sie die Manipulationsmöglichkeit der modernen Informationstechnologie aufzeigen.

Während der gesamten Ausstellungszeit werden sie den „bubble“ von Frank Fierke des Öfteren bespielen und zur Finissage die weitere prozessuale Arbeit zum Thema fortführen.

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Wir verharren auch nicht im durstenden Stillstand und eröffnen gleich wieder die Getränkebar .

Zunächst startet jetzt die musikalische Fortschrittsreise mit den Pavarottis: Stefania Kurtykian (Gesang) und Yulia Dragalova (am Piano) klassisch

und wird später gegen 22:15 Uhr mit der elektronischen Soundperformance des Projektes „Mad Womens Vision“ der Künstlergruppe Zenit und Nadir fortgeführt.

Zur Langen Nacht der Museen am 9. April wird es Führungen und ein Programm mit Überraschungsperformances und einem faustischen Wissenschaftler via Skype geben, der Ihnen bei der Entschlüsselung von ungelösten Fortschrittsproblemen zur Seite steht.

(Vielleicht kann uns der anwesende Gast aus dem All, den ich vorher kurz gesichtet habe, ja z.B. die digitalen Fortschrittscodes von Alfons Koller heute schon entschlüsseln. ...Wer weiß es?...

Zur Finissage am 27. April werden die während der Ausstellungszeit gesammelten Antworten der Besucher dann performativ präsentiert.


Einen wunderschönen Abend wünsche ich Ihnen

viel Spass jetzt mit den Pavarottis und herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Die Ausstellung ist eröffnet!

Marcus Kettel
- Kurator -

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